Ton In Ton - "Percussive Klangreisen " (mit Otto Leibl M.A.)
Oberursel, März 1999

FRplakat

PERKUSSIVE KLANGREISEN DURCH DIE STADTRESIDENZ
Oberurseler Literarische Konzerte, Samstag, 6.März 1999
Otto Leibls Magical Mystery Tour legte -nach furiosem Trommelbeginn und erstaunlich animiertem Publikum- schon kurz nach Fahrtantritt der „Percussiven Klangreise“ einen Zwischenstop ein. Der Magister Artium öffnete seiner Reisegesellschaft kosmopolitische Fenster zum Thema und wies auf mannigfache Möglichkeiten hin, außerhalb von Raum und Zeit zum Ziel zu kommen. Alsdann übernahm die Gruppe „Ton In Ton“, geleitet von ihrem rhythmisierten Meister Andreas Mlynek, mit Leichtem Metall  akustisch die Reiseführung. Unterlegt vom Summen und Brummen der Zuhörerschaft, wähnte man sich inmitten einer Kunstschmiede für Filigranmetalle. Georg Trakl’s schaurig-kalte „Winternacht“ war durch flehende Säge, dräuendes Donnerblech und eisigem Wassergong fast körperlich spürbar, der ostinate Lebenspuls des Tsching jedoch führte die Gemeinde hoffnungsfroh und unter frühlingshaften Flötenklängen ins wärmende Licht. Vollends erweckt wurde die vielköpfige Reisegemeinschaft vom Wirbeln eines Rahmentrommelquintetts, das mit der bombastischen Macht eines Sommergewitters auf-, aber auch wieder abzog. Zeit zur Besinnung fanden die Reisenden „In Uxmal“, als Gäste  Octavio Paz’. Achtschlägelig gespielte Ballafone schufen eine besondere Stimmung. Nach der Pause, in der sich das Publikum im Instrumenten-Streichelzoo erging und sich umfassend über Herkunft, Pflege und Haltung des mannigfach vorhandenen Schlagwerks informierte, durfte man sich auf einem westöstlichen Diwan betten. Exotisch klingende Musikwerkzeuge namens Saz, Berimbao und Gome  schufen orientalische Sphären. Otto Leibl schlug danach Kafkas „Brücke“ über die Klangmeere des Monochords. Zum Plätschern der Wasserkalebassen und dem Rauschen der Oceandrum erwachte der Psalter, Regen fiel unentwegt. Haiku zu den vier Jahreszeiten trockneten den Boden. Wahrhaft geerdet aber wurde der Saal der Residenz von den gewaltigen Klängen der mächtigen Buk, die donnerechsengleich vom gesamten Raum Besitz ergriff. Welch ein  Kontrast danach das Konzert der Gongs! Tschings, Gongs und Röhrenglocken aller Größen  und Formen entwickelten ein faszinierendes Klangspektrum. Spätestens jetzt entschwebten die Reisegäste in das Reich der Tongärten und Klangfarben. Am Ende des Ausfluges angekommen, erwachten die Klangreisenden in einer schnellen, fetzig-krachenden Perkussionsstück. Man war wieder zurück. Eine Zugabe konnte das Ende der Reise noch etwas hinauszögern.
Negotio Neemann I.


Es schlug der Puls,
es pochte der Rhythmus.
Es grollte die Buk,
es flirrten die Gongs.
Es schlief die Amsel,
es ruhten die Senioren.
Der Adler breitet seine flüssigen Schwingen:
Oh, Fernet Branca!
(H.Hoffmann)

PERCUSSIVE FANGEISEN IN DER STADTRESIDENZ
Oberurseler Literarische Konzerte, Samstag, 6.März 1999
Mehr als vierzig unschuldige Menschen saßen in der Falle. Angelockt durch Neugier erweckende Instrumentalexotik, von seriösen Schirmherren in vermeintliche Sicherheit gewiegt und nach Zahlung des vielversprechend-elitären Eintrittspreises mental bestätigt, schnappte die Falle zu. Vorzeitiges Entrinnen schien nur in der avisierten Pause möglich. Und es begann. Das Überfallstakkatto der mittelalten Trommelcombo zeigte den einwegigen Stand des deutsch-afrikanischen Kulturaustausches. Westeuropäische Individuen sprechen eben nur bedingt mit einer Trommelstimme. Die anwesende Eine-Welt-Laden-Klientel  jedoch demonstrierte ihren deutlich gestärkten Sinn für Toleranz und Leidensfähigkeit. Wohltemperiert war zwar der große Saal der Stadtresidenz, völlig zeitlos hingegen die Ausführung des Meisters der Künste, Otto Leibl. Dem hinlänglich gebildeten Zuhörer bedarf es Monate, diese volle Kelle universellen Wissens zu dekomprimieren und zumindest fragmentarisch freien Hirnkapazitäten anzudienen. Nicht nur der Geist krampfte, auch der unschuldige Körper wurde vom Grauen überzogen. Was die hemmungslosen Akteure -dem Augenschein nach eigentlich dem Gemeinwohl dienende Sozialberufler, Freischaffer und Kleinkapitalisten- mit Metallschlagen, Trötenblasen und Sägenquälen anstellten, rief wahrlich eine doppelte Gänsehaut hervor. Das Publikum lernte viel an diesem Abend: Kafka’s Geist schwebte im Raum. Eine durchlöcherte Blumenvase ist nicht etwa Ausschuß, eine fellbespannte Apfelkiste kein potentielles Brennholz und ein scheppriges Walzblech beileibe kein Metallschrott. Nein, weit gefehlt: All’ dies wurde der Gemeinde als den abenländischen Präzisionsinstrumenten gleichwertige Musikgeräte vorgestellt. Nun, Glaube versetzt Berge. Und wenn nicht, so wurde doch wenigstens der Taunus beim Freischwingen dutzender Gongs und mutierter Wasserleitungen verrückt. Die unerschrockenen Akteure kippten unbefangen ihre Spielzeugkiste aus. Sie bauten Klangtürmchen, die sie alsdann unter dem apokalyptischen Donnern einer kuhfellgroßen Monstertrommel zusammenpoltern liessen. Wehrlos trieb das Publikum durch die Endzeit der Tonfahrt. Haiku von erhängten Faltern, entschlafenen Amseln und trunkenen Adlern taten ihr Übriges. Hoffnungsstrahlen ahnte man erst am Horizont des verdämmernden Abends: Die -wie befürchtet- akustisch und instrumental allumfassende, aber wohl unumgängliche Zugabe wurde von einem LaLaLa-SingSang-Song unterlegt. Wie erfrischend der ursprüngliche Optimismus der 7 reifen Menschen: Welch ein Triumph des Lebens über die Weite des Chaos. Unter diesen Umständen ein tröstlicher Akt: Gehört doch den Kindern die Zukunft und alles wird wieder gut.
Negotio Neemann II.

Manche trommeln wider die Furcht,
andere suchen im Lärm
Stille.

zurück